Sonntag, 10. Mai 2015

10.05.'15 - Canakkale; Dardanellen - asiatische Seite; plus Troja!

Limnos - Canakkale; 88 nm
Wir haben jetzt mehr als 1.600 Seemeilen hinter uns gebracht. Istanbul ist nicht mehr weit, knapp 135 nm entfernt. Im Augenblick haben wir zuviel Wind und in seiner Folge eine zu große Strömung vor der Brust. Wir werden sehen, WANN es weiter geht.

08.05.'15 - Entscheidung

Beim Frühstück fragen wir noch einmal diverse Wetterprognosen ab. YachtingWeather sagt für die Route südlich um Limnos herum für die nächsten 48 Stunden 17 kn voraus, in Böen 35 kn. Die große Differenz zwischen Grundlast und Böen, die sich bisher noch nicht so bewahrheitet hat, ist einfach nervig. Helmuts Visualisierungstool auf dem iPhone scheint das aber zu bestätigen. 
Der DWD sagt für die Ägäis Nord (Referenzpunkt ist etwa nördl. Skyros) heute einen Wind von 5 Bft max. voraus. Das sind maximal 21 kn, die uns entgegen blasen werden, allerdings wieder beinahe direkt. Bei einem flotten Kurs am Wind können das schnell 27 bis 28 kn in den Segeln werden. Das kennen und können wir aber recht entspannt. Der Referenzpunkt liegt etwa 60 nm südlich. Wenn wir die Route nördlich um Limnos fahren, sind wir bereits 80 nm davon entfernt und fühlen uns bezüglich des Wetters sicher, weil das den Wind verursachende Tief weiter südlich liegt. Also fahren wir heute!

0930 - Motor an, Leinen los, raus aus dem Hafen. Ab 0945 fahren wir mit dem Motor, bei kräftiger Unterstützung durch das Genuasegel.

Auf der Nordseite baut der Wind schnell eine Welle von 2,5 Fuß auf. Wir fahren mit Motor und Genua 40° zum Wind aus ONO einen südlichen Kurs. Die Seahorse muß jetzt nicht mehr jede der kurz aufeinander folgenden Wellen einzeln durchstampfen, sondern kann sie 'schneiden'. Die Fahrt ist schnell und ruhiger als vorher.

Tolles Segelwetter, wenn der Kurs stimmt- Gözceada (Türkei) im Hintergrund
Markus B., ein Segelkamerad aus unserer Heimatstadt, den Helmut gestern zur Absicherung ebenfalls um eine Expertise gebeten hatte, meldet uns per SMS, daß wir auf unserer Route in den kommenden Tagen nie mit mehr als 24 kn rechnen müssen. Es tut gut, das zu lesen. 

Wir haben anfangs 2-3 Bft um die Ohren, später 3-4 Bft mit Wellen von 3 Fuß. Gegen 1600 liegt das NO Kap von Limnos an steuerbord querab. Wir segeln jetzt mit Genua und Groß, ohne Motor (!) und schaffen 7,8 kn FdW. 

Schon vor den Dardanellen fällt uns eine zunehmende Strömung auf, die in den Abendstunden stetig wächst. Unmittelbar im Eingang der Dardanellen beträgt sie bereits 3 kn. Wir fahren wieder ausschließlich mit dem Motor, haben alle Segel geborgen und die Gastlandflagge der Türkei aufgezogen, einschließlich der gelben 'Zollflagge'. Im Eingang der Dardanellen fällt uns ein Denkmal auf, das wir zunächst nicht zuordnen können. 


In der Nacht glühen vier Säulen blutrot. Später lesen wir in Canakkale, daß auf der Halbinsel, auf der dieses Denkmal steht, im 1. Weltkrieg 500.000 Menschen gestorben sind.

Dann sind wir drin in der Meerenge, im Meeresarm, immer nahe am VTG - an das sich hier niemand hält. Was für einen Unfug habe ich da in Deutschland lernen müssen? Hier wird im VTG gewendet, schräg gequert, Kurven abgekürzt. Es schient jedermann frei zu sein, die verfügbare Fläche nach eigenem Gusto zu nutzen.

Wir bleiben, wo immer das möglich ist, trotzdem außerhalb des VTG, bis plötzlich ein merkwürdiges 'Gerüst vor uns im Wasser auftaucht. Helmut reißt die Seahorse auf einen Ausweichkurs. Aus der Nähe erkennen wir leidlich blinkende gelbe Funzeln, die gegen den hell erleuchteten Hintergrund der Uferbebauung fast nicht erkennbar sind. Diese Funzeln kennzeichnen die 'Ecken' eines untergegangenen Schiffes ;-) Wahnsinn.

Mittlerweile ist die Strömung auf 5 kn angewachsen! Wir machen 7,5 kn FdW und schaffen nur 2,5 kn über Grund. Die Fahrt wird langsam zu einer Qual, weil kaum Fortkommen erkennbar ist.

Die nächste böse Überraschun erleben wir in der Marina, im Zielhafen in Canakkale. Die Marina mit wrackigen Schwimmstegen ist proppevoll. Wir versuchen an dem letzten noch freien Schwimmsteg rückwärts anzulegen, müssen aber feststellen, daß alle Mooringleinen abgerissen oder abgeschnitten sind. Bei dem aktuellen Seitenwind ist die Seahorse kaum zu halten.

Ein Marinero kommt und macht uns klar: Keine Mooring, kein Anlegen. Wir sollen draußen ankern und morgen wiederkommen. Dann sind Plätze frei. Ankern? In der Strömung? Bei dem Wind von 21 kn? Wir versuchen, im Stadthafen unterzukommen; vergeblich. Dort sind keine Möglichkeiten festzumachen. Hundemüde, frierend, ziemlich sauer fahren wir wieder in die Marina zurück und machen an dem Schwimmsteg längs fest. Soll der Kerl doch die Polizei rufen, oder wen auch immer. Wir bewegen uns hier nicht mehr weg.

Um 0510, im Morgengrauen, machen wir den Motor aus und legen uns schlafen, ohne weitere Störung. 

4 Stunden später reißt uns der Marinero aus dem Schlaf, der große Mühe hat, seinem Chef zu erklären, daß er uns nicht erlaubt hat, festzumachen. Helmut, der das richtig stellt, erfährt im Büro des Hafenamtes, daß der Schwimmsteg 'gar nicht mehr richtig fest' ist und gerade demontiert wird. Mittlerweile sind aber tatsächlich einige Segelboote abgefahren und wir können an einem Betonkai festmachen, direkt vor dem Hafenbüro, unter den Augen von Zoll und Polizei.

Die Verwaltung der Marina nimmt die Schiffsdokumente und unsere Reisepässe entgegen, und beauftragt im Namen des Skippers einen Agenten, die Einklarierung durchzuführen (120,- €). Sollen Sie. Ich lege mich erstmal wieder hin, weil wir das Schiff nicht einmal Richtung Toilette verlassen dürfen.

Während ich schlafe besichtigt der Zoll das Boot von innen, auch der herbeigerufene Arzt, der seinen Sohn mitbringt, weil der 'so ein Boot' einmal von innen sehen möchte. Ich bekomme von alledem nichts mit. Erst als Helmut mir meinen Reisepaß zurück gibt und mir erklärt das wir auch die gelbe Flagge herunter nehmen können, werde ich wieder halbwegs wach, gegen 1130. Die Abwicklung der Formalitäten wurde aus unserer Sicht für uns einfach und unkompliziert erledigt. Selbst hätten wir das nicht tun wollen, vermutlich nicht können.

Der Wind bläst uns auch hier im Hafen mit 22 kn ins Gesicht. Aber die Seahorse liegt sicher. 

Um 1330 unternehmen wir den ersten Rundgang, zwecks Bargeldbeschaffung. Was soll ich sagen: Die erste Eisdiele ist keine 100 m vom Hafen entfernt :-)

Außengrenze der Türkei
Am Eisentor zur Marina steht ein Schild mit der Aufschrift "Border Gate". Das ist hier rechtlich eine Außengrenze der Türkei, in die wir heute über den 'Port of Entry' Canakkale eingereist sind.

So schwer uns die erste Begegnung 'mit der Türkei' in der Nacht gefallen ist, so angenehm erleben wir jetzt Canakkale, die Schüsselstadt (Namensgebung wegen der früheren Bedeutung als Töpferstandort). Freundliche Menschen überall rings um uns. An einigen Stellen mit mehrsprachigen Beschreibungen finden wir auch unsere Sprache, noch vor der englischen. Die Stadt birgt eine Universität. Das sieht man ihr an. Viele junge Menschen sind auf den Straßen, in den Cafes und Restaurants und auf der Promenade. In der Innenstadt, so weit wir sie zu sehen bekommen, werden ungenutzte Flächen begrünt und mit Sitzgelegenheiten ausgestattet. Canakkale gefällt uns.

Bilder aus Canakkale (Tschanackale)

Schattiger Platz gegenüber der Eisdiele
Katzen warten auf das Dinner
Ein Fischer verkauft seine kleinen Fische lebend. Die zappeln in den Plastikgefäßen und spritzen das Salzwasser über die Promenade. Die Katzen der Gegend kommen herbeigerannt, sitzen in unteschiedlichen (ausgekämpften) Abständen zu dem potentiellen Abendmahl und warten auf das, was der Fischer nicht verkaufen kann.

Überall Blumen


3-4 Bft auf den Dardanellen
Die Biegung rechts ist die engste Stelle des Meeresarmes
Es wird Abend

Film-Holzpferd
Das 'trojanische Pferd' aus dem Film 'Troja', mit Brad Pitt, steht auf der Promenade in Canakkale! Die Stadt sieht sich eng verbunden mit Ilya.

37 km bis Troja - da MÜSSEN wir hin
Fischerhafen
Die Seahorse im Zollhafen

10.05.'15 - Troja

Der Wind bläst am Vormittag kräftig; nicht in dem prognostizierten Maß des Starkwindes, aber mit Böen, die uns deutlich genug sagen, es sei besser, nicht gegen die Strömung zu kämpfen, sondern Troja zu besuchen.

Bevor wir nach Troja aufbrechen, besuchen wir das nahe Tourismus Info Center. Die junge Frau darin bietet uns an, sich mit uns in deutscher Sprache zu unterhalten. Das nehmen wir gerne an. Wir erfahren wie wir den Busbahnhof erreichen und wann der nächste Otobüsi nach Troja fährt, daß wir dort Begleitmaterial und Audioguides bekommen können. 

Den Busbahnhof erreichen wir leicht zu Fuß. Wir haben vor der Abfart noch Zeit für einen Kaffee. Der Fahrer sitzt am Kaffeestand neben uns. Schiefgehen kann jetzt nichts mehr. Wir steigen etwa 10 Minuten vor der Abfahrt in den Bus, weil der abfährt, sobald die Fahrgäste der Fähre (von woher auch immer) ankommen. Die Fähre kommt dann auch irgendwo an und bringt einige junge Leute in den Bus; unter anderem ein Pärchen aus Japan. Das setzt sich zwischen Helmut und mich in die hinterste Sitzreihe.

Es ist warm im Bus. Während der Fahrt schläft die junge Frau neben mir ein. Erst sackt der Kopf auf die Brust, dann das ganze Wesen in sich zusammen. Am Ende liegt ihr Kopf an meiner Schulter. Die Kleine pennt sich an meiner Schulter aus und ist in Troja wieder hellwach und ungeniert ;-)

Helena?
Die Ausgrabung insgesamt ist gut für Touristen aufbereitet und das 'Ambiente' darauf angelegt, hier verschiedenen Menschen Arbeit zu verschaffen. Die junge Dame bietet sich für Photos an, möchte dafür 15 TL haben. Ich verstaue meinen Photoapparat gleich wieder. Das ist mir das Photo nicht wert. Nach kurzem 'hin und her' ist sie bereit, für 10 TL mit mir zu posieren; kleine Helena mit einem blonden Riesen ;-)

Lehmziegel; 5.000 Jahre von der Erde geschützt, jetzt durch ein Zeltdach
12 m ist die Stadt in ihrer Geschichte in die Höhe gewachsen
Artesische Brunnen
Ich sehe die Ergebnisse von archäologischen Grabungen gerne, aber mit vielen Fragen im Hinterkopf. 'Wir' buddeln heute aus, was andere Menschen vor mehreren tausend Jahren bereits verworfen, weggeworfen, zugeschüttet, vergraben haben. Bringt uns das Wissen (?) um die Lebensumstände früherer Jahrtausende heute wirklich weiter? Wem nutzen die Erkenntnisse der Archäologie?

Lehrreich ist die Führung durch die Audioguides allemal, anregend und ganz hervorragend gemacht.

Was diese Tür wohl versperrt hat?
Diese Tür mag zum Schlafzimmer von Helena und Paris geführt haben, und war damit die Wurzel der Vernichtung Ilyas. Dann wäre es schade, wenn ausgerechnet diese Tür im Wesen erhalten geblieben wäre ;-)

Helmut will den Verfall stoppen
Auf dem Weg in die Stadt
Der Schliemanngraben
Ganze Arbeit hat Schliemann hier geleistet, sehr zum Ärger der Ärchäologen, die ihm vorwerfen, wie die Axt im Walde gearbeitet zu haben. Ich sehe das als reichlich unfair an, vielleicht dem Neid gehorchend. Schliemann hat in den Anfangsjahren der Ausgräberei als erster Fehler gemacht, Fehler erkannt und andere Verfahren gewählt. Davon profitieren die heutigen Meckerer, die es damals auch nicht besser gewußt hätten.

Trümmer, Trümmer, Trümmer

Spannend: Alte Wasserrohre aus Ton
Reste eines Tempels der Athene

Blick bis in die Dardanellen
Wunderschöne Arbeiten im Stein
Spannender: 5.000 Jahre alter Erbstollen
Das fesselt mich besonders: Weil Ilya auf einem artesischen Hügel steht, war die Wasserversorgung der Stadt stets gesichert. Für die Felder wird das nicht immer gereicht haben. Bereits vor mehr als 5.000 Jahren haben die Einwohner deshalb die artesisichen Schichten von außen bergmännisch angegraben und einen 70 m langen Erbstollen zu einem unterirdischen See gelegt. Daraus wird Wasser für eine Zisterne der Feldwirtschaft entnommen. Das Ganze funktioniert noch heute!

Das Odeon haben die Römer später gebaut
Ein Theaterbesuch in der Neuzeit
Ich staune
Mein Staunen bezieht sich weniger auf die Geschichte der Stadt und auch nicht auf das vollkommene Ausmaß der Zerstörung, sondern darauf, daß ich heute hier bin!

Selbstverständlich habe ich als Kind die Ilyas verschlungen, und als Jugendlicher noch einmal und später als Erwachsener auch noch einmal. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, einmal den Ort zu sehen, an dem diese grandiose Tragödie gespielt hat.

Insofern hat der starke Strom, getrieben von dem starken Wind, durchaus sein Gutes. Helmut ist sich sicher, daß jetzt völlig klar ist, warum Odysseus ewig lange nicht die Dardanellen nach Norden hoch gekommen ist. Ich denke nach wie vor, daß der Strolch gar nicht nach Hause wollte, sich vielleicht gar nicht sehen lassen durfte (wegen unehrenhafter Kriegsführung). Außerdem mußte er die anderen Totschläger auf dem Schiff noch in diversen 'Abenteuern' verschleißen. Die konnte er doch unmöglich mit nachhause bringen ...

Blumen in der Wüstenei
Die Otobüsifahrt zurück nach Canakkale amüsiert uns. Der Bus hält, wo jemand winkt. Daß alle Sitz- und auch die wenigen (illegalen) Stehplätze längst besetzt sind, spielt keine Rolle. Ausgestiegen wird ebenfalls wo der Gast will. Bezahlt wird vor allem von den nur kurz Mitfahrenden gar nicht oder mit einem Händedruck. Dabei kostet die 50 minütige Fahrt von 30 km gerade 5 TL pro Person.

Am Ende des Tage ist für uns klar, daß wir Morgen nach Marmara auf Marmara im Marmarameer aufbrechen. Am Abend ist der Wind stark abgeschwächt. Wir schließen daraus keineswegs, daß dies so bleibt. Die starke Strömung auf den Dardanellen wird damit ebenfalls noch nicht gestoppt sein. 

Wir werden sehen. Ihr werdet lesen ;-)

Keine Kommentare: